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Am 19. Juli 2022 traten die vom kroatischen Parlament in seiner Sitzung am 1. Juli 2022 angenommenen Änderungen und Ergänzungen des Gesetzes zum Zivilprozessrecht („GZP“) in Kraft.

Die Hauptziele der Änderungen des GZP sind die Beschleunigung, Vereinfachung und Modernisierung des Gerichtsverfahrens, die Einführung einer größeren Anzahl von Fristen für die Herbeiführung verschiedener Gerichtsentscheidungen, die Erweiterung des Spektrums der E-Kommunikationssystem-Verpflichteten und die Einführung der Tonaufzeichnung von Anhörungen als eine Regel. Allerdings gibt es neben den Regelungen, die die genannten Ziele erreichen, innerhalb des Änderungspakets auch Institute, die einer Ausarbeitung durch die Rechtsprechung bedürfen.

Da es sich um Änderungen und Ergänzungen des grundlegenden Verfahrensrechts der kroatischen Gesetzgebung handelt, besteht kein Zweifel, dass die vorgelegten Änderungen und Ergänzungen Gegenstand zahlreicher Diskussionen in akademischen und juristischen Kreisen sein werden.

  1. Ausarbeitung des Grundsatzes der gegenseitigen Anhörung der Parteien

    Es ist ein sehr seltener Fall, dass der Gesetzgeber in grundlegende Bestimmungen eines der Grundgesetze eines bestimmten Rechtsgebiets eingreift. Dies gilt auch für das GZP in Bezug auf die Grundsätze des Zivilprozessrechts, die sich seit dem Zivilprozessgesetz von 1976 (außer der Aufgabe des Grundsatzes der materiellen Wahrheit) nicht wesentlich geändert haben.

    Durch das neue GZP wurde Artikel 5 der Zivilprozessordnung ergänzt, d. h. der Grundsatz der gegenseitigen Anhörung der Parteien, auf die Weise dass das Gericht den Parteien im erforderlichen Umfang die Möglichkeit gibt, ihre Meinung zu äußern zu den Rechtsfragen des Rechtsstreits. Außerdem wurde eine Bestimmung hinzugefügt, die vorsieht, dass das Gericht seine Entscheidung nicht auf eine Rechtsgrundlage stützen kann, die erheblich von der im Verfahren diskutierten abweicht und die eine gewissenhafte und sorgfältige Partei vernünftigerweise nicht hätte vorhersehen können.

    Interessant ist es hervorzuheben, dass der Gesetzgeber mit der fraglichen Vorschrift, genauso wie mit der Vorschrift aus Artikel 367a des GZP auch den Sorgfaltsmaßstab in die Verfahrensgesetzgebung einführt – den Maßstab einer gewissenhaften und sorgfältigen Partei.

  2. Erweiterung der e-Kommunikation Verpflichteten
    Im Angesicht des Trends zur Digitalisierung von Verfahren wurde durch die Novellierung des GZP der Umfang der Subjekte erweitert, die zur Nutzung des elektronischen Kommunikationssystems verpflichtet sind.

    Bisher waren die staatlichen Stellen, die Staatsanwaltschaft, Rechtsanwälte, Notare, Gerichtssachverständige, Gerichtsgutachter, Gerichtsdolmetscher, Insolvenzverwalter, Treuhänder und juristische Personen zur Nutzung der elektronischen Kommunikation verpflichtet. Durch die Novellierung des GZP wurden auch Beschäftigte in Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden zur Nutzung des E-Kommunikationssystems in den Fällen verpflichtet, in denen sie Arbeitnehmer oder Arbeitgeber vertreten, sowie Sachwalter in Verbraucherinsolvenzverfahren, Insolvenzverwalter, Sondervormunde in Familienangelegenheiten und natürliche Personen, die eingetragene Tätigkeiten ausüben, bei Streitigkeiten über diese Tätigkeit.

  3. Änderungen bezüglich der Abhaltung und Durchführung von Anhörungen
    • Fernanhörung
      Die Ergänzung des GZP regelt zusätzlich das Thema Fernverhandlungen.
      Die Bestimmung des Artikels 115 Absatz 4 sieht nämlich vor, dass das Gericht befugt ist zu entscheiden, ob eine Fernverhandlung abgehalten oder bestimmte Beweismittel aus der Ferne vorgelegt werden sollen, nachdem es die Erklärungen der Parteien und anderer Beteiligter erhalten hat, die an der bevorstehenden Verhandlung teilnehmen müssen.

      Absatz 5 desselben Artikels sieht vor, dass die Methode der Fernverhandlung unter Verwendung geeigneter audiovisueller Geräte und technologischer Plattformen für die Fernkommunikation oder die Vorlage individueller Beweise durch eine vom Justizminister erlassene Verordnung gesondert geregelt wird. Daher wird die operative Durchführung von Fernverhandlungen durch eine Sonderverordnung vorgeschrieben, die die Anweisung zur Durchführung von Fernverhandlungen des Ministeriums für Justiz und Verwaltung der Republik Kroatien, Klasse: 011-01/20-01/50, Ed . Nummer: 514-05-01-02-01/3-20-08 vom 10. November 2020. materiell ersetzen soll.

    • Anhörungen bei geringfügigen Forderungen
      Gemäß der Ergänzung des GZP wird das Gericht in Verfahren in Streitsachen mit geringfügigen Forderungen eine mündliche Verhandlung durchführen, wenn es dies zum Zweck der Beweisführung für nötig hält (z.B. wenn der Bedarf für eine Zeugenanhörung besteht) oder wenn mindestens eine der Parteien einen solchen begründeten Vorschlag unterbreitet, den das Gericht mit einer Entscheidung ablehnen kann, gegen die kein Einspruch zulässig ist, wenn es nach den Umständen des Falles möglich ist eine faire Durchführung des Verfahrens auch ohne Anhörung sicherzustellen.
      Daher wird das Verfahren bei Streitigkeiten über geringfügige Forderungen in der Regel zu einer schriftlichen Streitigkeit.

    • Obligatorische Tonaufnahme
      Mit der GZP Ergänzung wird auch eine verpflichtende Tonaufzeichnung aller Anhörungen eingeführt und ein Protokoll erstellt über:
      • Handlungen und Äußerungen, für die dies gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben ist,
      • Erklärungen der Parteien über die Anerkennung des Anspruchs, den Verzicht auf den Anspruch, den Verzicht auf das Rechtsmittel, die Änderung oder Zurücknahme des Anspruchs, die Anerkennung oder die Anfechtung bestimmter Tatsachen und vorgeschlagener Beweismittel,
      • Gerichtsentscheidungen in der mündlichen Verhandlung,
      • wichtigere Äußerungen oder Ankündigungen der Parteien oder anderer Beteiligter außerhalb der mündlichen Verhandlung. Über weniger wichtige Äußerungen oder Bekanntmachungen wird kein Protokoll geführt, sondern nur ein amtlicher Vermerk, und
      • über den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs und Handlungen, die außerhalb der Verhandlung oder außerhalb des Gerichtsgebäudes vorgenommen werden, wenn die besagten Verhandlungen nicht auf Tonband aufgezeichnet werden.
    • Fernbleiben von der Anhörung
      Nach den Bestimmungen des Artikels 291 Absatz 4 des GZP lag vor Inkrafttreten der GZP-Änderung die Vermutung des Klagerückzugs vor, wenn (i) beide Parteien der Vorverhandlung ungerechtfertigt fernblieben oder ( ii) sie kamen zur Anhörung, nahmen aber nicht an der Diskussion teil, oder (iii) zogen sich von der Anhörung zurück, und in diesen Fällen wurde davon ausgegangen, dass der Kläger die Klage zurückgezogen hatten.

      Nach der GZP-Änderung besteht nun die Vermutung der Klagerücknahme, wenn (i) beide Parteien der Vorverhandlung ungerechtfertigt fernbleiben oder (ii) der Kläger der Verhandlung ungerechtfertigt fernbleibt und der Beklagte nicht an der Diskussion teilnimmt. Die zitierte Änderung betont die Notwendigkeit der Anwesenheit des Klägers bei der Vorverhandlung als Partei, auf deren Initiative der Rechtsstreit eingeleitet wurde.

      Die gleiche Lösung wurde bei der Anhörung zur Hauptdiskussion eingeführt. Anders als in der Vorverhandlung ist jedoch in der Hauptverhandlung eine Ausnahme von der Vermutung der Klagerücknahme vorgeschrieben, und steht dem amtierenden Richter unter Würdigung aller Umstände zur Verfügung:

      • die Hauptverhandlung abzuschließen auf der Grundlage der bereits vorgelegten Beweismittel und der Aktenlage über die Klage, wenn er den Fall für ausreichend erörtert hält, oder
      • aus wichtigen Gründen die Anhörung zur Hauptverhandlung zu verschieben, höchstens jedoch einmal während der gesamten Hauptverhandlung.
    • Verfahrensmanagementplan (Prozesskalender)

      Mit der GZP Änderung wird auch ein Verfahrensmanagementplan, also ein Verfahrenskalender, eingeführt, welchen das Gericht erstellt, wenn es feststellt, dass es nicht möglich ist, das Vorverfahren in derselben Verhandlung abzuschließen und die Hauptverhandlung durchzuführen und abzuschließen. Der Prozessmanagementplan sollte enthalten:

      • eine Zusammenfassung der strittigen Tatsachen- und Rechtsfragen,
      • Beweismittel zur Feststellung strittiger Tatsachen (welche Zeugen müssen vernommen werden, welche Dokumente, Verträge, Akten sollen eingesehen werden etc.),
      • Frist für noch zu beschaffende Nachweise (Registerauszug etc.),
      • Frist für die Einreichung der schriftlichen Erklärungen der Parteien zu den Erklärungen der Gegenpartei, sowie Feststellungen und Gutachten des Sachverständigen,
      • Datum und Uhrzeit der mündlichen Verhandlung für die Hauptverhandlung.
    • Fristen für den Abschluss des Verfahrens
      Im Hinblick auf die Umsetzung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit des Verfahrens hat der Gesetzgeber mit der Änderung des GZP eine Reihe von Fristen für die Durchführung von Maßnahmen im Verfahren eingeführt, d.h. um Entscheidungen zu treffen.

      Somit wird eine Frist zur Durchführung einer Vorverhandlung eingeführt, die nun innerhalb von 3 Monaten ab Eingang der Klageerwiderung, also dem Ablauf der Klageerwiderungsfrist, abgehalten werden muss, während die Hauptverhandlung spätestens 6 Monate nach Abschluss des vorangegangenen Verfahrens stattfinden muss.

      Darüber hinaus muss das Zivilverfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht innerhalb einer angemessenen Frist abgeschlossen werden, und zwar innerhalb einer Frist von weniger als 3 Jahren ab dem Datum der Klageerhebung.

      Das Oberste Gericht der Republik Kroatien ist verpflichtet, innerhalb einer angemessenen Frist und auf jeden Fall innerhalb einer Frist von weniger als sechs Monaten nach Eingang des Antrags auf Zulassung beim Obersten Gericht der Republik Kroatien über den Antrag auf Zulassung zu entscheiden.

      In Fällen von geringen Forderungen ist das Gericht zweiter Instanz verpflichtet, über die Beschwerde innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden, jedenfalls innerhalb einer Frist von weniger als sechs Monaten nach Eingang der Beschwerde beim Gericht zweiter Instanz.

    • Institut „Überraschungsentscheidungen“ – Verhinderung von Entscheidungen, die im Berufungsverfahren geändert werden
      Nach den neuen Bestimmungen des Artikels 367a des GZP fordert das Gericht zweiter Instanz im Berufungsverfahren die Parteien auf, die Rechtsgrundlage anzugeben, wenn es der Ansicht ist, dass auf dieser Rechtsgrundlage eine Entscheidung getroffen werden sollte die sich erheblich von derjenigen unterscheidet, die im Verfahren diskutiert wurde und die eine gewissenhafte und sorgfältige Partei nicht vorhersehen konnte.

      Die Parteien können sich zu dieser Rechtsgrundlage innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist, die nicht kürzer als 15 Tage sein darf, in einer Ratssitzung, einer Anhörung oder in einem Schriftsatz äußern.

    • Änderungen der Revisionsbestimmungen
      Durch die Änderungen des GZP wurde die Bestimmung von Artikel 382.a des GZP gestrichen, die bisher eine Ausnahme vorschrieb, wonach die Parteien in Streitigkeiten (i) über das Bestehen eines Arbeitsvertrags, d. h. der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses oder zum Zweck der Begründung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses, (ii) bei der Feststellung der Mutterschaft oder Vaterschaft, (iii) im Rahmen von Klagen zum Schutz vor Diskriminierung, (iv) im Rahmen von Klagen für die Veröffentlichung korrigierter Informationen eine Revision gegen das Urteil der zweiten Instanz einreichen, ohne dass der Oberste Gerichtshof der Republik Kroatien zuvor die Einreichung einer Revision zulassen muss.

      Mit anderen Worten, gemäß der neuen gesetzgeberischen Lösung aus der Änderung des GZP, dem Revisionsmechanismus, bei dem es notwendig ist, zuerst die Genehmigung des Obersten Gerichts der Republik Kroatien für einen Vorschlag zur Revisionsgenehmigung einzuholen, bevor er eingereicht wird, gilt grundsätzlich ausnahmslos für alle Arten von Streitigkeiten.

    • Rechtswidrigkeit von Beweismitteln in Zivilverfahren
      Die interessanteste Änderung betrifft sicherlich die ausdrückliche Einführung der Beweisrechtswidrigkeit in Zivilverfahren.

      Der traditionell auf das Strafprozessrecht bezogene Begriff wird nämlich nun direkt in das Zivilverfahren eingeführt.
      So kann nach den neuen Bestimmungen des Artikels 220a des GZP eine gerichtliche Entscheidung nicht auf rechtswidrig erlangte Beweismittel (illegale Beweismittel) gestützt werden. Eine solche Lösung folgt der Verfassungsbestimmung aus Artikel 29 Absatz 4 der Verfassung der Republik Kroatien, die bestimmt, dass rechtswidrig erlangte Beweismittel nicht in Gerichtsverfahren verwendet werden dürfen, und die entsprechende Änderung des GZP löst das Dilemma, ob die zitierte Verfassungsvorschrift auch für Zivilverfahren gilt.

      Artikel 220a Absatz 2 des GZP verleiht dem Gericht die Befugnis, die Vorlage rechtswidriger Beweismittel zuzulassen und deren Inhalt zu berücksichtigen, wenn es dies zur Feststellung einer entscheidenden Tatsache für erforderlich hält. Dabei sollte sich das Gericht von der vorgeschriebenen Verhältnismäßigkeitsprüfung aus demselben Absatz leiten lassen, die vorschreibt, dass das Gericht bei der Entscheidung über die Zulässigkeit von Beweismitteln die Schwere der Rechtsverletzung durch die Vorlage rechtswidriger Beweismittel und das Interesse berücksichtigt zur ordnungsgemäßen und vollständigen Feststellung des Sachverhalts im Verfahren.

      Anders als im Strafverfahren, in dem eindeutig festgestellt wird, welche Beweismittel rechtswidrig sind, befasste sich die Änderung des GZP jedoch nicht mit dieser Frage, sodass Zweifel bestehen bleiben, welche Beweismittel rechtswidrig sind.

Tin Aničić